Autor: Rolf Grathwohl
Es war wieder voll im Dorfkrug, wie eigentlich jeden Freitagabend. Das war der Tag wo viele Leute aus dem Dorf, die Bauern aus der Umgebung und sogar die Honoratioren des Dorfes wie der Apotheker, der Bürgermeister und sogar Hochwürde sich aufs Wochenende vorbereiteten und ihr schönes Wochenendbier genossen. Da war immer viel Gemurmel, Lachen und Heiterkeit im Raum. Jeder war froh, die Last und Hektik der Woche für ein paar Stunden zu vergessen und sich auf das bevorstehende Wochenende zu freuen.
Seltener, aber gern gesehener Gast war der Herr Professor. Ob er wirklich ein Professor war, und wie er genau hieß, wusste anscheinend niemand; er wurde aber von allem im Dorf so genannt. Vor ein paar Jahren hatte er ein verlassenes Gehöft etwas abseits erworben und ist mit vielerlei Gerät und seltsamen Apparaturen dort eingezogen. An einem der ersten Wochenenden tauchte er dann im Dorfkrug auf, stellte sich offiziell vor um schließlich zur Freude aller, eine Lokalrunde gegeben. Anschließend fragte er, ob ein paar Manner ihm in naher Zukunft behilflich sein könnten. Er erwarte vom Bahnhof verschiedene große Kisten, die es galt zu seinem Hofe zu transportieren. Weiterhin fragte er nach Handwerkern und Zimmerleuten; er wolle einen großen Turm an seiner Scheune anbauen, über dessen Zweck er aber der Dorfgemeinschaft keine nähren Auskünfte gab.
Weil der Professor anscheinend ein vernünftiger Mensch zu sein schien, dauerte es nicht lange und neben der Scheune erhob sich ein hoher, achteckiger Turm an dessen 4 Seiten jeweils eine große Uhr, ähnlich der am Kirchturm, angebracht war.
Auf der Spitze des Turmes fand sich ein seltsames, sich drehendes Gebilde, was bei den Leuten im Dorfkrug immer wieder für Erheiterung, aber auch für Fragezeichen sorgte. Es war kein richtiger Wetterhahn, denn es dreht sich nicht mit dem Wind; sah eher aus wie ein Kompass, der sich mal in die Eine, schließlich in die andere Richtung drehte. Doch nicht nur dieser Umstand war verwunderlich, sondern jedes Mal, wenn der Professor anscheinend auf Reisen war, gingen eine der Uhren immer falsch. Entweder gingen sie weit vor, manchmal zurück, meist jedoch immer vor; seltsamerweise immer nur die Uhr, welche in die Richtung zeigte, die auch ein knallroter Pfeil in dem sich drehenden Gebilde vorgab.
Im Dorfkrug hieß es dann immer: „seltsamer Professor ist das, einerseits tut er immer so gescheit, hat jede Menge teures Gerümpel in seiner Bude, aber wie man eine Uhr richtig stellt weiß er nicht….“
Trotzdem ließ man den Professor in Ruhe, wusste er bei seinen seltenen Besuchen im Dorfkrug doch immer spannende oder verrückte Geschichten zu erzählen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass er dabei recht großzügig war, ging es darum noch eine Runde zu spendieren.
Die Arten der Geschichten, welcher er dann zu besten gab, waren oftmals Ursache für große Erheiterung, waren sie doch so seltsam und ungewöhnlich, dass sie kaum jemand zu glauben vermochte. Dies war auch der Grund, warum der Professor auch gerne als Spinner und verrückter Kerl tituliert wurde.
So erzählte er einmal, dass er in ein Land gereist war, wo die allermeisten Menschen kleine Kästchen, ähnlich einer kleinen Schultafel mit sich trugen, auf die sie permanent starten. Sie sprachen in die Kästchen herein und es schien auch jemand zu antworten, so ähnlich wie bei dem einzigen Telefon im Dorf, welches in der Amtsstube des Bürgermeisters stand.
Das Kästchen schien auch eine Art von Bilderrahmen zu haben, konnte man dort immer wechselnde Bilder sehen. Der Professor meinte auch, dass er gesehen habe, wie die Leute das Kästchen hochhoben und so taten, als ob sie fotografieren wollten und, in der Tat, erschien in dem kleinen Bilderrahmen etwas was wie ein Foto aussah. Manche der Menschen stellten sich auch zu zweit oder mehreren nebeneinander und hielten sich das Kästchen in Armeslänge vor das Gesicht. Dies wäre, vor alle bei Jugendlichen, eine beliebte Freizeitbeschäftigung. Der ganze Dorfkrug lachte lauthals bei diesen Erzählungen, bis auf den Dorffotografen. Er saß mit leicht verbitterter Miene am Ecktisch und protestierte, dass dies doch alles Blödsinn sei. Wenn es so etwas gäbe, wäre er doch der Erste, der davon erfahren hätte.
Doch die beste Geschichte erzählte der verrückte Professor im letzten Winter. Er war lange weg, die Uhren an dem Turm gingen diesmal sehr weit vor, das Gebilde auf dem Dach drehte sich permanent hin und her. Einige im Dorf machten sich schon Sorgen, wurde der Professor doch schon längere Zeit nicht gesehen. Als die Gerüchteküche so langsam Fahrt aufnahm geschah es an einem Freitagabend, dass der Professor zu vorgerückter Stunde polternd in die Wirtsstube stieß. Sein Haar war zerzaust, und sein sonst immer so tadelloser Anzug schien einer dringenden Reinigung zu bedürfen.
Nachdem der Professor erst einmal Platz genommen hatte und ungewöhnlicherweise sofort einen doppelten Schnaps bestellt, fragten die Leute: „Hey Professor, was ist los? Ihr wart schon lange nicht mehr hier, war wohl eine besonders lange Reise?“
Nachdem er auch noch einen zweiten doppelten Schnaps getrunken hatte, sagte er: „Leute, ihr glaubt nicht, was ich erlebt habe.
Dort wo ich wahr, werden die Menschen nicht mehr müde!“
Sofort lag ein verwundertes Schweigen im ganzen Dorfkrug, war es doch so unmöglich und unwahrscheinlich was der Professor darauf hin berichtete, sodass auch der letzte Gast an des Professors Lippen hing.
Er erzählte von einer großen Stadt, mit Häusern die mehrfach so hoch waren, wie der Kirchturm im Dorf. Jeden Morgen kamen tausende von Leuten mit Kutschen ohne Pferde, die keinerlei Geräusche mehr machten in die Stadt gefahren, oder sie wurden mit Zügen gebracht die aussahen wie gleich mehrere Busse, die hintereinander festgezurrt waren.
Fast jeder hatte eines der kleinen Kästchen in der Hand aus dessen Oberseite ein Kabel herauskam welches dann in kleinen Pfropfen in die Ohren der Menschen führte. Es wurde fast gar nicht gesprochen, die kleinen Kästchen schienen den Menschen zu sagen wo sie hinmüssen oder was sie zu tun haben.
In den hohen Häusern angekommen setzten sie sich an einen Tisch auf dem eine Art Fernseher stand. Davor fand sich eine Tastatur, viel kleiner als die, welche im Telegrafenamt des Dorfes bei dem Fernschreiber angebracht war, welcher erst jüngst in der Poststelle für Bewunderung und Staunen gesorgt hat.
Den ganzen Tag starrten die Menschen in diesen Fernseher, tippten eifrig auf der Tastatur oder verschoben mit der Hand ein anderes kleines Kästchen, etwas größer wie eine Streichholzschachtel, welches mit einer Schnur mit dem Fernseher verbunden war.
Die Dorfbewohner konnten das alles überhaupt nicht glauben, den einzigen Fernseher, den sie kannten stand im großen Saal des Dorfkruges auf einem Regal. Ab und an versammelt sich das halbe Dorf im Saal um auf dem Fernseher einen besonderen Film oder ein Fußballspiel anzuschauen.
Weiterhin berichtet der Professor, dass es zur Mittagszeit geschah, dass viele der Menschen aus den hohen Häusern wieder herauskamen, um sich in umliegenden Häusern ein Mittagessen abzuholen. Anscheinend gab es viele Frauen, die sich zur Aufgabe gemacht hatten, für andere zu kochen und dies dann bereitwillig verteilte. In jedem Haus gab es etwas anderes zu essen, beliebt schien ein Gericht zu sein, bei dem Fleischstücke an einem senkrechten Spieß geschichtet waren, welcher sich vor einem heißen Grill drehte. Oder aber, man saß draußen auf der Straße auf Bänken und aß Brötchen, zwischen denen eine Boulette, und etwas Gemüse geschichtet waren.
Anscheinend waren all diese seltsamen Gerichte kostenlos, denn man sah niemanden der aus seiner Tasche ein paar Münzen zog. Entweder zeigten die Menschen den Frauen in den Häusern ihr kleines Kästchen oder sie hatten Kärtchen dabei, etwa halb so groß wie eine Postkarte, welches vorgezeigt ausreichte um die Frauen in den Häusern zufrieden zu stellen.
Für kurze Erheiterung sorgte der Ausruf einer der Bauern der seinem Tischgegenüber laut zurief: „Hey Huber, das wäre doch was für Dich, du beklagst dich doch immer, dass deine Alte dir immer nur die gleichen Brote mit aufs Feld gibt. Und unser Wirt hier will auch immer nur dein Geld haben. Zeige ihm doch auch mal ein Stück Plastik, vielleicht bekommst du dann auch was zu essen…“
Das verdutzte Gesicht des Gastwirtes führte zu einem riesigen Gelächter unter den Gästen. Doch dann fuhr der Professor fort.
Kurz vor Einbruch der Dunkelheit verlassen die Menschen die hohen Häuser, doch bevor sie sich auf den Heimweg machen, gehen viele von Ihnen in große Hallen und beginnen mit vollkommen seltsamen, undefinierbaren Bewegungen. Da werden Arme geschwenkt, die Füße gehoben, der Körper verdreht, entweder bei ganz leiser oder ohrenbetäubend lauter Musik. Da liegen kleine Hindernisse auf dem Boden auf die die Menschen dann im Takt der Musik auf und wieder absteigen. Andere wiederum nehmen verschieden schwere Gewichte aus Eisen um dies dann hoch und runter zu heben. Es finden sich Fahrräder, oftmals viele nebeneinander auf denen die Menschen strampeln, bis der Schweiß in Strömen von der Stirn rinnt. Doch die Fahrräder sind alle am Boden festgemacht, quasi etwas aufgebockt. So sehr sich die Leute auch beim Treten anstrengen, sie kommen einfach nicht vom Fleck.
Noch verrückter sind seltsame Metallgebilde wo sich die Menschen drin einklemmen und an langen Hebeln Bewegungen machen. Am Ende der Hebel finden sich verstellbare Gewichte. Ziel ist es, möglichst viele der Gewichte zu bewegen. Doch all dieses Mühen ist ohne Erfolg, es ist keinerlei Sinn und Zweck damit verbunden.
Diese Prozeduren dauern ein bis zwei Stunden, je mehr die Menschen schwitzen, desto glücklicher scheinen sie zu sein. Ist diese sinnlose Arbeit vorüber, begeben sich einiger der Menschen erst in die Dusche und anschließen in eine kleine Holzhütte in der eine Höllenhitze herrscht. Auch hier geht es darum, noch mehr zu schwitzen. Ab und an geht ein anderer Mensch in diese Holzhütte und schüttet Wasser auf den in der Hütte befindlichen Ofen. Die heißen Schwaden sind kaum auszuhalten, die Menschen schwitzen noch mehr als wenn sie mitten im heißen Spätsommer auf dem Feld die Heuballen auf den Wagen werfen.
Um die Verrücktheiten noch zu vervollständigen kommen die Menschen nach fast 20 Minuten aus den überhitzen Hütten heraus und werfen sich in große Tröge mit eiskaltem Wasser. Was ein Schnauben und Prusten; schon beim Anblick bleibt einem das Herz stehen.
Überall dieses Tun extrem verwundert, berichtet der Professor, habe er allen Mut zusammengefasst und einen der Menschen gefragt, was dies alles für einen Zweck habe?
Der angesprochene Mensch habe den Professor ungläubig angeschaut und erwidert, dass er nach getaner Arbeit sich endlich einmal austoben müsse um abends so müde zu sein, dass er gut schlafen könne.
Spätestens an dieser Stelle wanden sich manche der Dorfbewohner von den Erzählungen ab und hatten ihre Meinung gefestigt, der Professor muss verrückt sein. So ein Land kann es nicht geben!