Meine Berliner Freundin Irene Dombek hat mir vor kurzem eine von ihr geschriebene Geschichte zugesandt, die mir sehr gut gefällt. Schaut mal rein, hier ist sie:
Ein toller Hecht oder das trojanische Pferd
Am 2. Weihnachtsfeiertag, als wir am frühen Abend gehen wollten, streckte mir Detlef mit beiden Händen ein durchsichtiges Etwas entgegen, einen selbst geangelten, selbst tot geschlagenen, geköpften und ausgenommenen jetzt tiefgefrorenen Hecht in Plastiktüte. Ich stutzte. Detlef murmelte etwas wie „ihr mögt doch Fisch“ und „ist schon gut“. Pflichtbewusst und unter schwachem Protest „ist doch nicht nötig“ und „aber das muss doch nicht sein“ nahmen wir ihn schließlich an, wohl wissend, dass dies eine ganz besondere Gabe war, und wir Detlef, Ulrike und Margarete jetzt auf keinen Fall brüskieren durften.
Die Weihnachtsgeschenke und unsere Gastgeschenke waren längst ausgetauscht, gleich mittags am festlich gedeckten Tisch. Wir hatten für Gabriels Schwiegereltern mehrere Sorten Bio-Handcreme, Wein, einen Hiddensee-Kalender, Pralinen aus einer lokalen Manufaktur und für die Oma Hautpflegeöl aus dem Reformhaus mitgebracht. Uns erfreute Ulrike mit einer großen Flasche Glühwein und dem vorzüglichen Mittagessen: Ente mit Klößen und Sauce, dazu Rot- und Grünkohl. Als Beilage gab es Krautsalat und zum Nachtisch Vanilleeis mit roter Grütze. Und dazu kredenzte Detlef Rotwein und zum Schluss Kaffee.
Opa Valentin wurde auch beschenkt, jedoch nicht von uns, da wir nicht wussten, dass er dabei sein würde. Er ist Mitte Achtzig und so rüstig, dass er von der nahen Stadt mit seinem neuen Kleinwagen ins Dorf zu Sohn, Schwiegertochter und ihrer Mutter gefahren kommt. Wer am Tisch mit Ente aus Omas Hand gefüttert wurde, war Mascha. Und Mascha war es geschuldet, dass wir einen Hecht, zwar ohne Kopf und Eingeweide, aber mit Flossen und Schuppen bekamen.
Mascha bellt sehr viel: sobald es klingelt, wenn nicht zu ihrem Haushalt gehörende Personen das Haus betreten, Hunde des Weges daher kommen oder Katzen über die Dorfstraße laufen, und sie hört erst nach vielen Ermahnungen auf. Mascha war bei einem schlechten Menschen, bevor sie ins Tierheim kam und von dort, ein Jahr alt, zu unseren Schwipp-Schwiegereltern, oder wie genau heißt es bei den Schwiegereltern des eigenen Kindes? Ungeachtet dieses Hundes mit seinen Unarten möchten wir den Kontakt zu den Schwiegereltern unseres Sohnes aufrecht erhalten, auf kleiner Flamme, denn viele Gemeinsamkeiten gibt es nicht und dazu eine anderthalbstündige Autobahnfahrt ins übernächste Bundesland. Wir waren zu Coronazeiten gemeinsam Pilze sammeln, hauptsächlich Maronenpilze, die glitschig und weniger schmackhaft sind als erwünscht. Aber mein Mann und ich waren als völlig Unkundige begeistert und sammelten so viel, dass wir zuhause lange in der Küche standen, die Pilze säuberten und fertig fürs Einfrieren zurechtschnitten und uns am Ende schworen, nie wieder derart viele Maronenpilze zu sammeln.
Kennengelernt hatten wir unsere zukünftigen Verwandten vor fünf Jahren. Aus den Ferien am Ammersee kommend, entschied ich spontan, jetzt biegen wir hier nach Klieken ab. Liegt direkt an der Autobahn, es ist Sonntag und wir sagen einfach mal „Hallo, wir sind die Eltern von Gabriel“. Und dieser Überraschungscoup war uns auch gelungen! Bernhard war zwar dagegen gewesen, aber am Ende doch froh, dass wir auf derart unkomplizierte Weise die Eltern unserer Schwiegertochter in spe kennengelernt hatten. Mascha hatte sich auch da schon heiser gebellt, war aber in irgendeinen Raum des Vierseitenhofes verbannt worden, und wir konnten zu fünft prima auf das nahende Verwandtschaftsverhältnis mit unserem mitgebrachten Gingerwine anstoßen.
Mit Mascha waren wir hier bei uns im Park auch mal spazieren gegangen, als uns Ulrike und Detlef besucht hatten. Doch nach dem Spaziergang blieb sie im Auto. Ulrike und Detlef wissen genau, dass Mascha eine Meise hat. Sie darf außerhalb des eigenen Grundstücks niemals ohne Leine sein. Sie bellt alles höchst aggressiv an, abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie einem Hofhund in der Kliekener Nachbarschaft.
Nachdem mich Mascha an jenem 26. Dezember genau über meinen Stiefel ins rechte Bein gebissen hatte, wurde sie von Detlef sofort hinausgeführt. Ich war zuvor bereits mehrfach zwischen Tisch und Küche hin und hergelaufen, denn ich wollte Ulrike den Tisch nicht allein abräumen lassen. Mascha hatte sich unter den Tisch verzogen, wo sie in die Beine von Valentin und Bernhard hätte beißen können. Aber meines hatte sie gepackt, als ich die beiden Saucieren in den Händen hielt. Wie ich von einer Hundekennerin Monate später im Rheinland hörte, war dies eine ernst zu nehmende Warnung an mich gewesen: misch dich nicht in meinen Haushalt ein, ich dulde das nicht und kann es noch deutlicher zeigen! Es blutete nicht, aber die Zähne hatten rote Abdrücke hinterlassen und das Oval schwoll an und schmerzte. Es wurde Blau, dann Grün, dann Gelb. Zuhause behandelte ich es mit Arnika-Umschlägen, eine Woche lang. Es tat auch ohne Berührung tagelang weh.
Mascha hatte mich nicht weiter gewarnt, sie hatte schon lange aufgehört zu bellen. Blitzschnell schoss sie unter dem Tisch hervor, biss zu und zog sich sofort wieder zurück. Wir gingen dann noch mit Detlef und ihr an der Leine eine große Runde spazieren. Detlef hatte ihr einen Maulkorb umgetan. Ich sagte, das sei nun, da sie an der Leine ist, nicht nötig. Zurück vom Spaziergang lief sie jedoch wieder frei im Haus herum und ohne Maulkorb. So bitte nicht! Da wurde sie weggesperrt. Und beim Gehen bekamen wir den aus einem Elbe Altarm geangelten Hecht.
Er blieb bis Ende März in unserem Gefrierfach. Dann nahm ich ihn heraus, denn vor der nächsten Reise sollte er zubereitet werden. Für den Fall eines Stromausfalls. Vor vielen Jahren, damals in Friesdorf lag ein Fisch im abgeschalteten Kühlschrank. Die Blumen gießende Nachbarin wunderte sich über den zunehmenden Geruch. Bernhard hatte vor seiner Abreise in die Ferien die Sicherung für den Kühlschrank ausgestellt. Ich war schon voraus gefahren und ahnte nichts. Die Forelle im Gefrierfach taute allmählich auf. Frau Rieger erzählte uns später, wie sie detektivisch dem Geruch auf der Spur war, die Quelle schließlich fand, den Fisch beherzt in die Mülltonne warf, die Kühlschranktür weit offen ließ und tüchtig lüftete. Es war Hochsommer. Als wir nach mehreren Wochen zurückkamen, hatten Fliegen ihre Eier in die Gummidichtung des Kühlschranks gelegt. Solch ein Szenario vergesse ich nicht.
Stromausfälle gab es hier bereits, daher die Entscheidung, jetzt wird der Hecht zubereitet. Wir mögen ja Fisch, jedoch am liebsten filetierten im Restaurant Brescia. Nun denn, an neuen Aufgaben kann ich wachsen, etwas dazu lernen, Erfahrung sammeln. Als der Hecht im Kühlschrank angetaut war, und dieser stark roch, nahm ihn mein Mann heraus, tat ihn wieder in die Plastiktüte, in der er vorher war, verpackte ihn noch weiter und trug ihn auf den Balkon zum weiteren Auftauen. Mit auf Untertassen gestreutem Kaffee war der Fischgeruch im Kühlschrank nach einigen Tagen neutralisiert. Ich stellte mir nun vor, wie ich den glitschigen Fisch entschuppen müsste. Bernhard sah sich schon mit Essigwasser immer wieder Spüle und Arbeitsplatte säubern. Da kam mir die Idee, den Tieren des Waldes etwas Gutes zu tun. Erwartungsgemäß war mein Mann spontan dagegen. Unter uns gesagt, er ist zunächst immer strikt gegen alles, was ich vorschlage. Er dachte, die milde Gabe solle vor unserer Haustür gestiftet werden. Aber Nein! Im Park auf dem Baumstumpf, da kann sie sich der Fuchs holen. Das Telefonat mit einer Freundin, auch zu diesem Thema, führte zur Entscheidung der Fisch kommt ins Wasser zurück.
Gestern brachen wir bei Einbruch der Dunkelheit mit dem gut eingepackten Hecht in Richtung Fließ auf und ließen ihn von der Brücke an der katholischen Schule aufs Ufer fallen. Heute war rein gar nichts mehr von ihm zu sehen. Keine Schwanzflosse, keine Gräten, und von denen hat der Hecht äußerst viele. Deshalb steht er auch auf keiner Speisekarte, außer ganz selten als Hechtklößchen. Wir hoffen, dass die unverhoffte Proteingabe willkommen war und niemand an etwaigen Gräten erstickt ist.
Fazit: Eine gut gemeinte Gabe kann sich auch als Danaergeschenk entpuppen.
Irene Dombek scripsit